Über

Im Jahr 2021 fallen sowohl der 150. Jahrestag der Pariser Commune als auch der 100. Jahrestag des Aufstands von Kronstadt in eine Zeit sich zuspitzender Widersprüche und Krisen des Kapitalismus – sowohl ökonomischer als auch ökologischer Art. Diese Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart wollen wir zum Anlass nehmen, im Rahmen von drei Tagungen über linke Zukünfte nachzudenken. Wenn wir die Tristesse, die Zerstörung, die Ausbeutung der kapitalistischen Realität nicht als alternativlos hinnehmen, aber auch nicht Fehler der Vergangenheit wiederholen wollen, dann scheint uns eine Debatte über Grundzüge einer herrschaftsfreien Gesellschaft und möglicher Wege dorthin unumgänglich.

1871 – Inmitten des deutsch-französischen Krieges rufen die Bewohner*innen von Paris die Commune aus. Auch wenn sie nicht dem Idealbild demokratischer Selbstverwaltung entspricht (Frauenwahlrecht gab es z.B. immer noch nicht), zu der sie im Nachhinein oft verklärt wurde, ändert sich einiges: Zahlreiche Sozialreformen werden beschlossen und die von den Kapitalisten verlassenen Betriebe werden kollektiviert. Die Commune inspiriert Sozialist*innen verschiedener Strömungen und Marx will in ihr „die endlich entdeckte politische Form“ der Befreiung erkennen. Wenige Monate nach ihrer Ausrufung wird sie blutig niedergeschlagen.

Die Bolschewiki ziehen deshalb knapp 50 Jahre später in Russland aus ihr den Schluss, dass die zentrale Staatsmacht erobert und mit ihr die Revolution verteidigt werden muss. Die in der russischen Revolution gebildeten Räte, die anfängliche Machtbasis der Revolution, müssen bald ihre Macht abgeben an einen autoritären Staatsdirigismus.

1921 –  In Kronstadt rebellieren die Matros*innen unter dem Slogan „Alle Macht den Räten – keine Macht der Partei“ gegen diesen Autoritarismus. Auch wenn sich unter herrschaftskritische auch antisemitische Parolen mischen , so blitzt hier doch zum vorerst letzten Mal ein anderer möglicher Ausgang der Revolution, ein freiheitlicherer, auf – wird jedoch von der Roten Armee niedergeschlagen.

Und heute? Nach dem Zerfall der Sowjetunion und den Ostblockstaaten hatte für viele Menschen der Kapitalismus gesiegt, das „Ende der Geschichte“ war eingetreten. Damit ist, wenn nicht schon 1994 mit dem Aufstand der Zapatistas, wenn nicht schon 2008 mit der Weltfinanzkrise und ihren Folgen, dann doch spätestens heute Schluss. Wir leben in einer Zeit, in der die Klimakatastrophe die Existenzgrundlage von Milliarden von Menschen bedroht und immer klarer wird, dass sie sich innerhalb des Kapitalismus nicht aufhalten lassen wird. In der eine Pandemie über Millionen Menschenleben dahinrafft und viele Millionen weitere in Armut reißt bzw. deren Armut verschärft, weil ihr Leben am Tropf einer Wirtschaft hängt, die in eine Krise gerät wenn die Menschen nur kaufen, was sie brauchen . In der Aufstände und soziale Bewegungen weltweit sich erheben gegen Armut und Prekarität, gegen Umweltzerstörung, gegen patriarchale Herrschaft und gegen rassistische Polizeigewalt und ein lautes und deutliches NEIN formulieren. Der Kapitalismus ist nicht alternativlos, seine Legitimität wird täglich mehr und mehr in Frage gestellt.

Wenn der Kapitalismus aber nicht alternativlos ist, dann müssen wir über seine Alternativen reden – und wie sich diese verwirklichen lassen. Gerade wenn wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, wenn wir verhindern wollen, dass das Bestreben, Herrschaft abzuschaffen umschlägt in eine neue brutale Form der Herrschaft, dann reicht es nicht, einfach nur gegen den Kapitalismus zu sein. Deshalb wollen wir uns 2021 in drei Tagungen auf verschiedene Arten und Weisen Fragen nähern, die nicht zuletzt die Jahrestage der Pariser Commune und des Kronstadt-Aufstands an uns stellen:

  1. Perspektiven marxistischer und anarchistischer Staatskritik
    9.-11. April, online

„Wie hältst du‘s mit dem Staat?“ gilt als Gretchenfrage der Linken. Sie trennt Reformist*innen und Staatssozialist*innen auf der einen von Anarchist*innen und staatskritischen Kommunist*innen auf der anderen Seite. Die Staatsfrage ist zentral sowohl in den unterschiedlichen Rezeptionen der Pariser Commune als auch im Aufstand von Kronstadt. Aber was bedeutet Staat überhaupt und was sollte an ihm ersetzt oder überwunden werden? Darüber wollen wir in einer digitalen Tagung im April sprechen.

  1. Freie Assoziation? Tagung zu antiautoritärem Kommunismus
    28.-30. Mai, online oder in Göttingen

Bini Adamczak schreibt: „Nach der Erfahrung des autoritären Sozialismus können wir uns schlechterdings nicht mehr darauf hinausreden von der anvisierten Welt ließen sich keine Bilder malen, stattdessen steht die Linke vor der Aufgabe wie ihre Bilder der Zukunft sich von den bekannten Bildern der Vergangenheit unterscheiden lässt.“

Dementsprechend wollen wir über die Grundzüge eines antiautoritären Kommunismus, einer Gesellschaft jenseits von Klassen, Lohnarbeit und Herrschaft, diskutieren. In welcher Gesellschaft könnte sich das antiautoritäre Bestreben, was sowohl 1871 als auch 1921 kennzeichnete, verwirklicht werden?

  1. Staat, Lohnarbeit, Übergang – Tagung zu Problemen linker Transformationsstrategien
    Sommer/Herbst, weitere Infos folgen bald

Das Ziel einer staaten- und klassenlosen Gesellschaft teilen Anarchist*innen und antiautoritäre Kommunist*innen mit Markt- und Staatssozialist*innen. Nur über die Frage des Weges dorthin sind sie sich uneinig. Während letztere von der Notwendigkeit einer staatlich regulierten und nach wie vor über Lohnarbeit organisierten Übergangsgesellschaft (als die sich auch Sowjetrussland verstand) ausgehen, suchen erstere nach direkteren Wegen in die befreite Gesellschaft. Wir wollen beide Seiten der Debatte miteinander ins Gespräch bringen: Braucht es eine Übergangsgesellschaft? Wenn ja, wie kann ihre Autoritarisierung verhindert werden? Oder wie kann ein direkterer Weg in den freiheitlichen Kommunismus aussehen?

Die Tagungen werden organisiert von einigen Menschen aus dem Utopie-Netzwerk und anderen linken Zusammenhängen. Während die erste Tagung auf jeden Fall digital stattfinden wird, hoffen wir, dass im Laufe des Jahres wieder Präsenzveranstaltungen möglich werden und wir für die beiden letzteren auch physisch zusammenkommen können.